Mit Gedanken zur Ruhe kommen

12. Juni 2024

Hindernisse als Stufen

Eine paradoxe Intervention

Mit Gedanken zur Ruhe

 

Gedanken sind umstritten. Sie gelten als eines der Markenzeichen des Menschen und zugleich als lästige Störfaktoren auf der Suche nach innerer Ruhe. Frei sollen sie sein und doch müsse man sie im Zaum halten. Gute Gedanken gäbe es und schlechte. Mit ihnen könne man die (eigene) Welt verändern und ihren Untergang herbeiführen.

Bei allem Brimborium um die Gedanken und ihre Allgegenwärtigkeit verwundert nur wie wir so einfach durchs Leben gehen können, ohne uns eingehender mit ihnen auseinanderzusetzen (oder besser zusammenzusetzen), d. h. uns ihnen nicht bloß gedanklich anzunähern, sondern sie tatsächlich als das zu erfahren, was sie sind: Gedanken.

 

Was sind Gedanken?

Was nimmst Du wahr, wenn Du die Augen schließt? Vielleicht siehst Du Dunkelheit, kleine Farbwahrnehmungen vor den geschlossenen Augenliedern. Dann, mit etwas Geduld, öffnet sich Deine Innenwelt und Körperwahrnehmungen, Atmung und Gefühle tauchen auf und wieder unter im regen Strom der Bewusstseinsinhalte. Und dann nimmst Du sie wahr: nirgendwo und überall zugleich, leise und laut, wie kleine Lichtblitze, die einzeln den Himmel Deines Geistes erhellen oder, die wie Kettenblitze, einander befeuern und sich zusammenschließen zu Lichterketten, den Geschichten, die aus Gedanken sind.

Und dieser Zustand ist für unseren Geist so natürlich wie ein Gewitter, das sich in Donner, Blitzen und Regen entlädt, sich auflöst und den Himmel so hinterlässt, als wäre es nie da gewesen und als wären solche Phänomene ganz und gar unvorstellbar. Jedes Gewitter kommt, bleibt und geht in seiner Zeit. Ganz gleich, was der Himmel tut.

Wenn wir uns nicht vom Donner, den Blitzen und dem Regen ablenken lassen, können wir beginnen Gedanken feiner und feiner wahrzunehmen. Vielleicht beginnen wir mit ihren Hüllen, ihrer äußeren Form, die für viele Menschen in Worten oder Bildern wahrnehmbar wird. Dann lassen wir die Worte Worte und die Bilder Bilder sein und achten stattdessen darauf, was dahinter wahrnehmbar wird. So können wir beginnen Gedanken als kleine, feine Impulse zu erkennen, die sich in unterschiedliche Formen kleiden. Gedanken als Regungen und Bewegungen im Geiste, die als solche viel weniger laut oder bildgewaltig und damit weniger verführerisch-ablenkend sind.

 

Wie wir mit Gedanken zur Ruhe kommen können

Und nun wird es (ent-)spannend und immer ruhiger. Wir lassen die Gedankenimpulse einfach Gedankenimpulse sein. So wie wir auch die Atmung Atmung sein lassen und unseren Herzschlag Herzschlag. Wir würden nie auf die Idee kommen, Ruhe daran zu knüpfen, dass wir keine Atmung und keinen Puls mehr feststellen können. Wir lassen einfach zu, dass alles immer feiner wird. So reisen wir zurück von Gedanken als Worte und Bilder zu Gedankenimpulsen und folgen diesen Impulsen. Dabei nehmen wir wahr, wie sie kommen, bleiben und in ihrer Zeit wieder gehen. Wir arbeiten also nicht gegen die Gedanken. Wir versuchen nicht nicht zu denken, sondern wir folgen dem Denken auf einer immer feineren Ebene und beginnen immer tiefer wahrzunehmen, woraus Impulse entstehen und worin Impulse sich auflösen. So als würden wir nicht auf den Klang, sondern die Klangquelle lauschen, nicht auf das Licht schauen, sondern die Lichtquelle suchen.

Wenn wir hingegen denken, Meditation oder Ruhe sei Nichtdenken und wir müssten daher von Anfang an nicht denken, werden wir auf oberflächlicher Ebene gegen Gedanken ankämpfen und dadurch bleiben wir an der Oberfläche und verstricken uns in immer neue gedankliche Gewitter und nebenbei steigt unsere Frustration und wir geben früher oder später auf.

Folgen wir stattdessen den Gedanken zu ihrem Ursprung, werden wir Ruhe erfahren, die unbeeinflusst davon ist, ob Gedanken da sind oder nicht.